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Erfüllt von Gottes Barmherzigkeit
Predigt zu Römer 9, 14-24
Im 2. Petrusbrief (3,15f.) in unserer Bibel wird geseufzt, dass einiges in den Briefen „unseres lieben Bruder Paulus" schwer zu verstehen sei. Dabei mag der Verfasser jenes Briefs auch an den Abschnitt gedacht haben, der für die heutige Predigt vorgeschlagen ist. Lasst uns an ihn herantreten mit der Bitte zu Gott, dass er unser Ohr öffne und unserem Verstand beistehe.
14 Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! 15 Denn er spricht zu Mose (2.Mose 33,19): »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.« 16 So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. 17 Denn die Schrift sagt zum Pharao (2.Mose 9,16): »Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.« 18 So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. 19 Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? 20 Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so? 21 Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen? 22 Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren, 23 damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit. 24 Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.
Dieser Bibelabschnitt will uns jetzt Eines groß und lieb machen - das Eine, was Gott schon vorzeiten zu Mose gesprochen hat: „Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme, und werde barmherzig sein, gegen wen ich barmherzig bin." Martin Luther hat dazu geschrieben: „Diese Worte stehen da, nicht um Verzweiflung zu bewirken, sondern um die Gnade zu preisen." Gott gibt uns allen guten Grund dazu, nicht in Klagen und Anklagen zu versinken. Er stellt uns auf einen festen Boden, auf dem wir uns darauf verlassen können: Er ist gnädig und barmherzig. Und Er wird auch morgen so gnädig und barmherzig sein, wie er es schon heute ist. Und wenn uns sonst noch so vieles bedrängt und bekümmert. Aber das gibt uns überall und jeder Zeit Halt, dass Gott zu uns sagt: „Wessen ich mich erbarme, dessen werde ich mich erbarmen; und gegen wen ich, der allmächtige Gott, barmherzig bin, dessen werde ich mich auch in alle Zukunft erbarmen." Dieser Satz ist eine Erklärung des hebräischen Gottesnamens „Jahwe". Und der wird uns hier so übersetzt: Gott lässt sich dabei behaften.
Das ist sein Name. Es mag vieles unzuverlässig sein, aber auf sein Erbarmen ist Verlass. Es mag vieles zerbrechen in unserem Leben, aber das hat Bestand.
Hat es wirklich Bestand? Denn es steht nun gleich neben diesem Satz ein anderer: „ ...aber er verhärtet auch, wen er will." Und wie immer dieses „verhärten" sich vollzieht, es meint anscheinend, dass Gott sich nur der Einen freundlich annimmt, die Anderen aber verstößt. Das tönt ungeheuerlich. Aber ist das wirklich so erstaunlich? Zeugt das nicht von einem Denkschema, das uns nur zu vertraut ist? Die Einen schätzen wir. Das sind unsere Lieben. Und die Anderen - nun, die schätzen wir nicht. Vielmehr gehen die uns auf die Nerven. Das scheint geradezu in unserer Natur zu liegen, dass wir unsere Mitmenschen in Gedanken und auch in unserem Verhalten einzuteilen pflegen in uns Angenehme und in uns Unangenehme, in Verbündete und uns Gleichgültige, in Freunde und Feinde. Und in der Regel stehen vor allem wir selbst auf der Seite der Rechten, und die Verkehrten sind auf der anderen, auf der falschen Seite. Und ist das nun etwa ähnlich bei Gott? Macht er es etwa genauso wie wir: ist gut zu den Einen und hart zu den Anderen?
Aber achten wir jetzt auf das, was Paulus sagt: „O Mensch, wer bist du, dass du mit Gott rechten willst? Wird etwa das Gebilde zum Bildner sagen: Warum hast du mich so gemacht? Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre, das andere zur Unehre zu machen." Das sagt kurz und bündig: Es ist ganz und gar nicht unsere Aufgabe, die Menschen einzuteilen in angenehme und unangenehme. Wenn wir es machen, so tun wir Unrecht. Wir mischen uns da in eine Angelegenheit ein, die Gott allein zusteht. Gott schwebt doch nicht in ewiger Neutralität über den Wolken. Wir wissen noch nicht, wer er ist, wenn wir nur den „lieben" Gott kennen. Er ist auch der gerechte Gott, der, der in seiner Gerechtigkeit zürnt, der der Falschheit widerspricht und der Ungerechtigkeit widersteht. Johannes Calvin betete an einem Grabe: „Mit deinem Urteil, o allmächtiger Gott, stehen und fallen wir." Und eben in diesem Wissen fuhr er fort: „Lehre uns bei dir Zuflucht suchen." Das macht ernst mit dem, was Paulus sagt: „Es kommt nicht an auf jemandes Wollen oder Laufen, sondern es kommt an allein auf Gott ..." Er allein gibt allemal den Ausschlag. Und wir können das nur respektieren.
Doch ist das noch genauer zu sagen. Es kommt alles auf Gott an - das heißt nicht bloß, dass es uns von Gott aus der Hand genommen ist, die Menschheit einzuteilen. Das heißt mehr noch: Gott urteilt anders, als wir es tun und tun möchten. Er tut das so anders, dass er es nun nicht so macht, dass er dabei einige Menschen sozusagen aus der Türe hinauswirft und ausschließt. Ja, es ist wohl wahr, dass Gott allen Grund hat, zornig zu sein - nicht nur über einige unerfreuliche Subjekte, sondern über die unsägliche Menschheit im ganzen, nicht nur über Andere, sondern über mich im Besonderen. „Vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat" (Ps. 103,2), ist in einem Psalm gesagt, aber in einem anderen Psalm heißt es dann: „Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer" (Ps. 14,3). Wir müssen nicht erst in die Zeitung schauen, um das bestätigt zu finden. Ein Blick in den Spiegel genügt dazu. Aber wie wunderlich verfährt unser Gott mit uns unerfreulichen Subjekten! Unser Bibeltext redet überwältigend davon: „Obwohl Gott Zorn erzeigen wollte und kundtun seine Macht, hat er mit großer Geduld getragen die Gefäße des Zorns." Was für ein Gott, der zu schwach scheint, seinen Zorn über die ergehen zu lassen, die seinen Zorn verdient haben! Was für ein Gott, der vielmehr so stark ist, seinen Zorn zurück zu stellen, um statt dessen diese unerfreulichen Subjekte in Geduld zu tragen! Was für ein Gott, der doch nicht die geringste Geduld mit Unrecht und Bosheit haben kann - und der nun doch uns Täter von Unrecht und Bosheit „trägt". Er wirft uns nicht weg. Er hält uns fest in seiner göttlichen Geduld.
Und damit geht ein Licht auf über denen, zu denen Gott Nein sagen muss. Aber sein Nein zu ihrer Verkehrtheit spricht er um des Jaworts willen. Das will er vor allem und letztendlich sagen. Paulus drückt es so aus: Er sagt sein Nein, „damit Gott kundtue den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Barmherzigkeit." Das ist das Ziel von Gottes Handeln: dass wir erfüllt werden von seiner Barmherzigkeit, von seiner Güte, von seiner Geduld, von seiner Vergebung, von seiner Freundlichkeit, mit der er uns begegnet. Es ist, als gehe damit eine Türe auf, und zwar so weit, dass Nahestehende zurücktreten müssen, damit Gottes Zuwendung zu seinen Menschen sich umso weiter den ihm Fernstehenden öffnet. Luther hat dazu den kühnen und in Wahrheit überaus hoffnungsvollen Satz gesprochen: Manche „Gotteslästerungen klingen bisweilen willkommener in Gottes Ohr als selbst das Halleluja." Man darf hinzufügen: Wir singen erst dann das Halleluja recht und schön, wenn darin dieser Gott gelobt wird, der Gott, der ein Herz hat gerade auch für die Gotteslästerer. Er ist ja auch ihr wie unser Erbarmer.
Amen.
Prof. Dr. Eberhard Busch
Eine Predigtmeditation im christlich-jüdischen Kontext.